Dieter Roth

Dieter Roth gilt als einer der größten Universalkünstler des 20. Jahrhunderts. Sein umfangreiches und vielfältiges Werk beinhaltet Graphik, Film, Fotos, Objekte, Gedichte, Künstlerbücher und Aktionen. Er schuf wuchernde, raumgreifende Installationen, schrieb Gedichte und Tagebücher, machte Musik und designte sogar Schmuck und Möbel. Immer stellte er Grenzen infrage, bewegte sich zwischen den Gattungen, bezog den Betrachter mit ein, eröffnete multisensorische Rezeptionsmöglichkeiten und ging mit anderen Künstlern Kooperationen ein.

Besonders berüchtigt war er für seine Nutzung von Lebensmitteln wie Käse und Schokolade, aber auch Fleisch und Wurst sowie Gewürzen. Der Verfall und der Befall mit Schimmel und Ungeziefer, das er liebevoll seine Helfer nannte, waren dezidierter und willkommener Teil der Arbeiten. Werk und Autorschaft wurden radikal infrage gestellt, was ihm den Ruf eines veritablen „Antikünstlers“ eintrug.  

Roths vielgestaltiges Werk zeichnet sich nicht nur durch eine grenzüberschreitende, an den Grundfesten bürgerlichen Kunstverständnisses rüttelnde Praxis aus, sondern auch durch eine äußerste komplexe Reflektion über die Grundlagen von Kunst und Kommunikation. Roth, der sich mindestens ebensosehr als Dichter wie als bildender Künstler verstand, kreiste um die Frage nach Verständigung und Verstehen, um das Verhältnis von Bild und Sprache zur Wirklichkeit, was von ihm aus einer ironischen Distanz mal spielerisch, mal deftig kommentiert wurde. In der Mitte zwischen der Willkür der Welt einerseits und der Konstruiertheit der Kunst andererseits stand er selbst, gespiegelt in zahllosen Künstler- und Tagebüchern, Selbstporträts und -aufzeichnungen wie den „Soloszenen“.
Dieter Roth, geb. 1930 in Hannover, absolvierte zunächst eine Lehre als Werbegraphiker. Da er keine Anstellung fand, begann er Anfang der 1950er Jahre, als freier Künstler zu arbeiten. Sein vielfältiges, alle Gattungsgrenzen überschreitendes Werk umfasst die ganze Bandbreite von Graphik, Objekten, Installationen, Film, Fotos, Gedichten, Tagebüchern, Künstlerbüchern und Aktionen. Im Frühwerk noch stark von den Züricher Konkreten um Max Bill geprägt, wandte er sich, angeregt durch die „Nouveaux Réalistes“, Anfang der 1960er Jahre der Alltagswelt zu. Berühmt wurden seine Experimente mit organischen Materialien und Lebensmitteln und ihren Verfallsprozessen. Roth nahm 1969 und 1977 an der documenta in Kassel teil, 1982 vertrat er die Schweiz auf der Biennale von Venedig. Seit 1957 pendelte er zwischen Island, Deutschland und der Schweiz. Er starb am 5. Juni 1998 in Basel.

CV

Leben und Werk

1930

geboren in Hannover; Vater Karl ist Schweizer, Mutter Vera Deutsche.

1943

Umzug in die Schweiz zu Pflegeeltern, Roth beginnt Gedichte zu schreiben und fertigt erste Zeichnungen, Pastelle und Aquarelle an

1946

Eltern kommen in die Schweiz, leben in Herisau. Besuch des Gymnasiums in St. Gallen. Erste Radierung „Selbstbildnis auf Dosenblech“, entsteht.

1947 – 1951

bricht das Gymnasium ab. Graphiker-Lehre in Bern bei Friedrich Wüthrich (bsi 1951). Erlernt alle wichtigen Drucktechniken. Erste Linol- und Holzschnitte.

1951

gemeinsam mit Marcel Wyss und Eugen Gomringer Gründung der Zeitschrift spirale, die von 1953 bis 1964 in neun Ausgaben erscheint.

1954

erste Versuche mit Lebensmitteln; Spirale aus Brotteig – als Beitrag für einen Wettbewerb des Grafikerverbandes; erste Experimente mit Op Art; erste Rasterbilder und kinetische Objekte.

1955

Arbeit als Textildesigner in Kopenhagen.

1957

Umzug nach Reykjavik zu Sigri∂ur Björnsdóttir; erste Schmuckentwürfe.

1961

Gründung des Möbelhauses Kùlan in Reykjavik; erste Kontakte zu Richard Hamilton. Letzte Beiträge zur Konkreten Poesie. Die erste Literaturwurst entsteht.

1963

Zusammenarbeit mit dem Verleger Hansjörg Mayer, erste Schimmelbilder.

1964

Lehrauftrag an der Yale University in New Haven, den er aufgrund von Differenzen bald wieder aufgeben muß; Kontakt zu Mitgliedern der Fluxusbewegung wie Nam June Paik und George Brecht.

1965

Lehrauftrag an der Rhode Island School of Design in Providence; Experimente mit organischen Materialien, besonders im Bereich der Druckgrafik („Pressungen“ und „Quetschungen“).

1968

Roth unterrichtet an der Watford School of Art in London und an der Kunstakademie in Düsseldorf (bis 1971).

1970 – 1971

Zusammenarbeit mit Stefan Werwerka und Richard Hamilton.

1973

Roth beginnt mit seiner „Sammlung flachen Abfalls“; Musikprojekt mit Gerhard Rühm und Oswald Wiener.

1977

Erste Schnellzeichnungen, die Speedy-Drawings, entstehen. Ausstellung der „interfaces“ von Roth und Hamilton in New York.

1978

In Zusammenarbeit mit Arnulf Rainer entsteht „Misch- und Trennkunst“. Weitere Musikprojekte mit Attersee, Nitsch, Rühm, Thomkins und Wiener.

1980

Verstärkte Zusammenarbeit mit Björn Roth; erste „Tischmatten“.

1991

Gründung der Dieter Roth Foundation in Hamburg; Roth inszeniert mit seinem „Schimmelmuseum“ eine Installation der Vergänglichkeit.

1997

Die Filme „Soloszenen“ werden in Basel aufgeführt und 1999 im Rahmen der Biennale in Venedig erneut gezeigt.

1998

Roth stirbt am 5. Juni in seinem Atelier in Basel an Herzversagen.

Stipendien und Preise

art multiple-Preis, Düsseldorf

1994

Kunstpreis Berlin – Jubiläumsstiftung 1848/1948

1991

Prix Caran d’Ache Beaux-Arts

1989

Lichtwark-Preis, Hamburg

1986

Maastrichter Charles Nypels-Preis für seine Bücher

1984

Kunstpreis der NORD/LB, Hannover

1982

Rembrandt-Preis der Johann Wolfgang Goethe-Stiftung im Basler Kunstmuseum

1980

Preis der Stiftung für die Graphische Kunst in der Schweiz

1969

Kunstpreis der Stadt Iserlohn

1960

Preis der William und Norma Copley Stiftung (Jury: William Copley, Marcel Duchamp, Max Ernst, Herbert Read, Richard Hamilton)

1954

Kiefer Hablitzel Stipendium

Einzelausstellungen (Auswahl)

2022 – 2023

„Dieter Roth. Gespresst – gedrückt – gequetscht. Material- und Druckgraphik“, Sammlung Falckenberg – Deichtorhallen Hamburg

2014 – 2015

„Und weg mit den Minuten. Dieter Roth und die Musik“, Kunsthaus Zug und Hamburger Bahnhof, Berlin

2013

„Dieter Roth – Diaries“, Camden Arts Center, London

„Wait. Later this will all be nothing: Editions by Dieter Roth“, Museum of Modern Art, New York

2011 – 2012

„Dieter Roth – Selbste“, Aargauer Kunsthaus, Aarau, Schwei, und Museum der Moderne Mönchsberg, Salzburg, Österreich

2014 – 2015

„Dieter Roth. Balle Balle Knalle“, Kunstmuseum Stuttgart

2010

„Dieter Roth – Das Tränenmeer“, Kunsthalle Luzern

2009 – 2010

„Dieter Roth – Souvenirs“, Kunstmuseum Stuttgart

2008

„Drehmomente: Filme von Dieter Roth“, Sprengel Museum, Hannover

„Les Bijoux de Dieter Roth“, Musée des Arts décoratifs, Paris

2007 – 2008

„Arnulf Rainer / Dieter Roth, Misch- und Trennkunst“, Deichtorhallen Hamburg

2006

„Dieter Roth – Alte und neue Werke aus der Sammlung Maria und Walter Schnepel“, Neues Museum Weserburg, Bremen

2005

„Dieter Roth & Dorothy Iannone“, Sprengel Museum Hannover mit Stiftung Ahlers Pro Arte Hannover

2003 – 2004

„Roth-Zeit“, Retrospektive im Schaulager Basel, Museum Ludwig, Köln und Museum of Modern Art, New York

2001

„Dieter Roth: La pell del món + altres coses més“, MACBA, Barcelona

2000 – 3

„Die Haut der Welt“, Staatsgalerie, Archiv Sohm, Stuttgart

1998

„Gedrucktes, Gepresstes, Gebundenes. Druckgrafik und Bücher 1949-1979″, Graphische Sammlung Albertina, Wien

1984

„Dieter Roth“, Museum of Contemporary Art, Chicago

1982

„Dieter Roth“, Nylistasafnid, The Living Art Museum, Reykjavík

vertritt die Schweiz auf der 40. Biennale von Venedig

1977

„Collaborations. Richard Hamilton, Dieter Roth“, Fundació Joan Miró Barcelona

Teilnahme an der documenta 6 in Kassel

1974

„Originale 1946-74″, Kunstverein in Hamburg

1973 – 1974

„Books and Graphics 1947-1971″, The Art Gallery of Ontario, Toronto , Museum of Art, Philadelphia und The Contemporary Arts Museum

1968

Teilnahme an der documenta 4 in Kassel

Anfrage