Vernissage: Donnerstag, den 10. Oktober 2024, ab 19 Uhr.
Es spricht: Dr. Jutta Moster-Hoos, Leiterin des Horst-Janssen-Museums Oldenburg.
Horst Janssen hat im Laufe seines Lebens rund 2000 Selbstporträts geschaffen und ist damit ein Rekordhalter in der abendländischen Kunstgeschichte. Kaum ein Sujet ist dominanter in seinem Oeuvre, ja: Janssen gilt als der Künstler des Selbstporträts schlechthin. Die Ausstellung in der Galerie St. Gertrude widmet sich nun zum ersten Mal umfassend dieser so wichtigen Gattung und zeigt die Vielfalt und Variationsbreite seines Umgangs mit diesem zentralen Thema.
Janssens Selbstumkreisung ist legendär, sein Ego berüchtigt. Dabei ist ihm das Selbstporträt viel mehr als simple Selbstbespiegelung. Es ist gleichsam Motiv wie auch Metapher, veristische Erkundung wie auch freies Experimentierfeld. Das Selbstporträt ist Seelenspiegel ebenso wie Theaterbühne, auf der Janssen sich selbst darstellt. Im Selbstporträt blickt der Künstler uns an ebenso wie er den Blick auf sich selbst richtet und mit den Klischees und Erwartungshaltungen des Publikums spielt.
Rembrandt nicht unähnlich, studiert er sein eigenes Antlitz in verschiedenen Mimiken bis hin zur Grimasse, mal sanft bewegt, mal expressiv verzerrt. Im Medium des Selbstporträts durchmisst er die verschiedenen Techniken und Stile, die von karikierender Übertreibung bis zu detaillierter Beschreibung reichen, von beiläufigen Beobachtungen auf Briefbögen oder Postkarten bis hin zu prachtvoll ausgearbeiteten Zeichnungen. Oft hat er kleine Gelegenheitszeichnungen in Büchern gemacht und sie mit seinem eigenen Konterfei und persönlichen Widmungen versehen.
In der legendären Radierfolge „Hanno’s Tod“ (1972) zerlegt er sein Gesicht bis zur Unkenntlichkeit in Einzelteile, lässt es geradezu zerfließen und öffnet damit die traditionelle Gattung des Selbstporträts zu anderen wie dem Stillleben und der Landschaft: In der metamorphotischen Wandlung des eigenen Konterfeis klingen Vanitasmotive an wie welke Blüten und Totenschädel als Symbole der Vergänglichkeit, wie man sie aus den niederländischen Stillleben des Barock kennt. Man kann sie durchwandern als Seelenlandschaften, deren Äcker und Furchen von Vergehen und Verfall künden, von den Stürmen des Lebens förmlich zerzaust. Wie ein leibhaftiges Gegenüber traktiert er die Druckplatte mit seiner virtuosen Radiertechnik, die eine kongeniale Entsprechung bildet zur aufwühlenden Auseinandersetzung mit der eigenen existenziellen Endlichkeit.
Weit über das Egozentrische hinaus weist auch die kleine Zeichnung „Zeichne dich selbst, dann zeichnet dich Gott“, in der der Künstler sich selbst im Spiegel anblickt. Ausgehend von der lapidaren Lebensweisheit „hilf dir selbst, dann hilft dir Gott“ greift Janssen auch in dieser karikierenden Kurzform gleichwohl nach den Sternen, ist doch das Göttliche im Menschen nichts weniger als dessen Gottesebenbildlichkeit, verstanden als das Vermögen, sich selbst reflektierend im doppelten Wortsinne gegenüberzutreten: im Selbstporträt als Sinnbild der Selbsterkenntnis.