Jürgen Brodwolf hat mit der Tubenfigur eine ausdrucksstarke Metapher des Menschen geschaffen. Dafür nutzt er die formale Ähnlichkeit der Farbtube zum menschlichen Körper und formt sie zu expressiven Gebärdefiguren. Mit ihren buchstäblichen Beulen und Knicken sind seine Tubenfiguren berührende Sinnbilder der modernen conditio humana.
Archäologische Ausgrabungsstätten, archaische Plastiken und dann, ganz
unvermittelt – Tubenfiguren – menschliche Figuren, modelliert aus
ausgedrückten Farbtuben. Diese an menschliche Körper erinnernden
Tubenfiguren bevölkern seit nunmehr fast sechs Jahrzehnten konsequent
das Werk des 1932 in der Nähe von Zürich geborenen Jürgen Brodwolf.
Aufgrund ihrer Abstraktion funktionieren sie als Chiffren für
menschliche Situationen, sie transportieren allgemein gültige
Botschaften und spiegeln in unnachahmlicher Weise essenzielle
menschliche Erfahrungen und Emotionen wider. In Verbindung mit
ungewöhnlichen, oft überraschenden Materialien entstehen poetische Werke
voller Tiefe und Nachdenklichkeit.
Nachdenklichkeit ist ein
weiteres Schlagwort, wenn man sich mit dem Schaffen Brodwolfs
auseinandersetzt. Das Schlimmste am 20. Jahrhundert sei das Vergessen,
so der Künstler. Mit Installationen, welche wie Schauplätze
archäologischer Grabungen anmuten, dem Anlegen von künstlerischen
Archiven und zahlreichen Rückverweisen auf Vergangenes, versucht
Brodwolf „Gedächtnisarbeit“ zu leisten und den Betrachter zur
mitfühlenden Auseinandersetzung anzuregen, ohne dabei je moralisch zu
werden. Diese Zurückhaltung ist es, welche die Arbeiten zu leisen und
doch tief einprägsamen und lange nachhallenden Bildern werden lässt.Charakteristisch
für Brodwolfs Schaffen ist sein Festhalten an der Figur. Zu einer Zeit,
als in Frankfurt die innovative Künstlergruppe „Quadriga“ und in
Düsseldorf „Zero“ Konzepte abstrakter Malerei postulierten und in den
Fokus der Kunstöffentlichkeit rückten, beschritt Brodwolf unbeirrt
seinen persönlichen Weg figürlichen Arbeitens. Dieser Weg führte ihn
fort von akademischen Regeln und hin zu einer nur ihm eigenen
Bildsprache, die im Material und im Duktus zeitgenössisch ist,
gleichzeitig jedoch viel von einer volkstümlichen und archaischen
Bildpraxis aufgenommen hat.
Jürgen Brodwolf ist einer der
wichtigsten Künstler seiner Generation im süddeutschen Raum. Seinen
Durchbruch hatte er 1977 mit der Teilnahme an der documenta 6. Es
folgten zahlreiche Ausstellungen im In- und Ausland, eine Professur für
Bildhauerei an der Staatlichen Akademie der bildenden Künste in
Stuttgart sowie zahlreiche Auszeichnungen und Preise. Heute lebt und
arbeitet Jürgen Brodwolf in Kandern, Südbaden.
Zur Eröffnung der Ausstellung am Sonntag, 3. April um 11 Uhr laden wir herzlich ein.
Einführende Worte spricht Herr Dr. Thomas Gädeke, Schloss Gottorf.
Zur Ausstellung erscheint ein umfangreicher Katalog zum Preis von 25 Euro.