Richard Hamilton

Zwei idyllische Blumenstillleben – allerdings nicht so, wie man sie sich vorstellt. In der Kunstgeschichte waren diese Sujets Anlass für ein regelrechtes Schaulaufen künstlerischer Fertigkeiten. Feinst gepinselte Blütenblätter öffnen sich zu prachtvollen Kelchen oder kräuseln sich welk zusammen, biegen sich anmutig über Vasenränder und recken sich wollüstig dem Betrachter entgegen. Trompe-L’Oeil-Effekte wetteifern mit der Realität, die sie zu überbieten suchen. Blumenstillleben feiern Schönheit und Verfall gleichermaßen und gemahnen die Betrachter an ihre eigene Sterblichkeit.

Wie eine profane Entzauberung wirken da die beiden „Flower-Pieces“ von Richard Hamilton. Der britische Pop Art-Künstler hat sie Postkartenmotiven entnommen, die er ungebührlich ergänzte: In das „Flower Piece B“ fügte er eine Klopapierrolle ein und in das „Flower Piece“ sogar einen Scheißhaufen. Hamilton wollte, wie er sagte, „ein sentimentales Klischee“ entweihen. Es brauche „Perversität und einen Hauch von Ironie“, um es „erträglich zu machen“.

Hamiltons Strategie ist dabei eine doppelte: Blumenpostkarten sind gleichermaßen die Schwundformen traditioneller Stillleben und damit selbst schon an der Grenze des Erträglichen. Hamilton verbindet das Idyllische mit seinem Gegenteil und macht damit das eigentlich Unerträgliche populärer Kitschpostkarten sichtbar. Zum anderen aber konterkarieren Klopapierrolle und Scheißhaufen, ähnlich wie Insekten oder Totenschädel in der traditionellen Stilllebenmalerei, die Schönheit der Blumenarrangements und fungieren als Memento mori. Hamiltons „Flower Pieces“ sind damit Kontrastierung und Kommentierung in einem, die sowohl die kunsthistorische Gattung als auch ihre populäre Kitschversion auf den Punkt bringen und gleichzeitig entzaubern.

Richard Hamilton gilt als Pionier der Pop Art. Es war seine Collage „Just What Is It That Makes Today’s Homes So Different, So Appealing?“, die im Jahr 1956 die Bewegung auslöste. Sie zeigt ein Pin-Up-Girl und einen Bodybuilder in einem modernen Interieur, umgeben von zweifelhaften zivilisatorischen Errungenschaften wie Comicstrips, Werbewelten und Haushaltsgeräten als eine ins Ironische gewendete Variante des ersten Menschenpaares.

Am 24. Februar 1922 in London geboren, besuchte Hamilton bereits als Schüler Kunstkurse, u.a. an der Saint Martin’s School of Art. Ab 1938 studierte er Malerei und technisches Zeichnen an der Royal Academy of Arts. Er arbeitete u.a. in einer Werbeagentur und als Industriedesigner. Die Welt der Werbung, der Alltagskultur und der industriellen Massenproduktion bilden die Bausteine seiner Kunst, die eine regelrechte Revolution auslöste. Als Gründungsmitglied der „Independent Group“ 1952 dachte er die Kunst vollkommen neu und suchte als einer der ersten die Grenze von „High“ und „Low“ zu überwinden: „Populär, flüchtig, billig, jung, witzig, sexy, trickreich, glamourös und big business“ solle die Kunst sein, schrieb er und erwies sich damit durchaus als prophetisch.

Früher und anders als der berühmtere Andy Warhol, nutzte er populäre Ausdrucksformen und moderne Medien, seit den frühen 1970er Jahren sogar den Computer, die er gleichwohl kritisch reflektierte. Angeregt zu seiner großen Lust an intellektueller Hintersinnigkeit und ironischen Volten haben ihn u.a. James Joyce und Marcel Duchamp. Dessen Werk widmete er seit 1962 eine eingehende Beschäftigung, rekonstruierte das „Große Glas“, übersetzte die „Grüne Schachtel“ und verschaffte ihm 1966 eine Retrospektive in der Tate Gallery. Richard Hamilton verstarb am 13. September 2011 in London.

Zahlreiche Auszeichnungen, darunter der Copley Preis (1960), der Turner-Prize (1988), der Arnold-Bode-Preis der documenta (1997) und der Praemium Imperiale (2008). Vertritt Großbritannien auf der Venedig Biennale 1993 und erhält den Goldenen Löwen. Teilnahme an der documenta 4 (1968), São Paolo Biennale (1989), der documenta X (1997), Gwanju Biennale (2004), Shanghai Biennale (2006). Zahlreiche Einzelausstellungen, u.a. Tate Gallery, London (1970), Guggenheim Museum, New York (1973), Neue Nationalgalerie, Berlin (1974), Tate Gallery, London (1992), San Francisco Museum of Modern Art (1996), Kunsthalle Bremen (1998), MACBA, Barcelona, und Museum Ludwig, Köln (2003), Tate Modern, London, und Museo Nacional Centro de Arte Reina Sofia, Madrid (2014).

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