Ernst Ludwig Kirchner: „Kühe im Wald“ (um 1922)
Die aquarellierte Kreidezeichnung zeigt zwei Kühe, die sich in einen Wald schmiegen. Mit expressiven Strichen verschmilzt der Künstler Nadelzweige und Schatten, Tiere und Pflanzen zu einer Einheit und deutet das Braun des Fells und das Grün der Vegetation mit lasierendem Aquarell lediglich an.
Mit der Übersiedelung nach Davos wird Kirchners Expressionismus ruhiger und die Formensprache tendiert zur summarischen Abstraktion. Er entwickelt ein neues Themenspektrum und widmet sich der alpinen Fauna und Flora seiner neuen Heimat, malt und zeichnet die Berge, das bäuerliche Leben und die Tiere.
Es sind Nutztiere wie Kühe und Schafe, die er etwa beim Weiden, Pflügen oder Melken, beim Auf- oder beim Abtrieb zeigt und sie damit in einen landwirtschaftlichen Kontext stellt. Im Gegensatz etwa zu Franz Marc, der die Tiere heroisiert, sie geradezu als Persönlichkeit charakterisiert und als Bestandteile einer urtümlichen Natur präsentiert, bindet Kirchner sie in einen lebensweltlichen Kontext ein, der, bei aller offenkundigen Idylle, dennoch vom bäuerlichen Alltag erzählt.
Ernst Ludwig Kirchner (1880-1938) gilt als einer der wichtigsten Künstler der Klassischen Moderne und ist ein Hauptvertreter des Expressionismus. Mit der 1905 von ihm mitgegründeten Künstlergruppe „Die Brücke“ schrieb er Kunstgeschichte. Unter dem Eindruck der französischen Kunst von Paul Gauguin, Henri Matisse und der Fauves sowie der Kunst der Naturvölker wandten sich die Brücke-Künstler einer starkfarbigen Malerei mit expressivem Duktus, flächigen Kompositionen und klaren Konturen zu.
Die Sujets des studierten Architekten und künstlerischen Autodidakten umfassten Akte, Porträts, Landschaften und Stadtveduten sowie die Welt des Varietés. Mit dem Umzug nach Berlin wurde die Großstadt sein Thema, deren nervöse Betriebsamkeit er in kongenialen, scharfkantigen, gezackten Formen festhielt.
Dem freiwilligen Kriegsdienst 1914 folgte 1915 ein physischer und psychischer Zusammenbruch. Nach diversen Sanatoriumsaufenthalten siedelte Kirchner 1918 nach Davos über, wo er sich künstlerisch fortan ganz der Berglandschaft und dem bäuerlichen Leben widmete. Von den Nazis als entartet diffamiert, wurden 1937 Hunderte seiner Werke aus Museen entfernt und beschlagnahmt. Im darauf folgenden Jahr nahm sich Kirchner das Leben.